anlässlich der Ausstellung Kaleidoskop Freiburg, 2017 in Padua (Italien)
Die Werkstatt von Brigitte Liebel ähnelt eher einem Forschungslabor oder einem Projektarbeitsplatz als einem Künstleratelier, das die besten Traditionen (des 20. Jahrhunderts) längst hinter sich gelassen hat. Die räumliche Umgebung wird dominiert von Forschungsinstrumenten und Projektgeräten, die sofort Neugier und Interesse für eine auf wissenschaftlicher Basis verifizierte, analytische Ästhetik erkennen lassen, indem sie uns in einen von der Kulturgeschichte völlig unabhängigen Bereich einführen. Der künstlerische Bereich, in dem Brigitte Liebel schon lange arbeitet, die überwiegende Aufmerksamkeit für die verschiedenen Phasen dokumentierender Tätigkeit, lässt sich in den Strukturen und den gezielt ausgerichteten Inhalten der Schauplätze, die der Vertiefung und Forschung bedürfen, umfänglich ablesen.
Im Raumlabor, so wie es im Nutzungsbericht der Werke und des Instrumentariums wahrnehmbar ist, manifestieren sich die Aufmerksamkeit und die Grundlagenforschung, mit welcher sich die Künstlerin der äußeren Wirklichkeit zuwendet: sowohl ihr Interesse für die Formen des Sozialverhaltens wie auch der urbanen Stadtlandschaft oder der Naturlandschaft. Auf dieser ästhetischen wie auch operativen Linie erweist sich der innere Raum als durch drei unterschiedliche Areale charakterisiert: [erstens] der mehr technische Bereich, vertreten durch ausdrucksstarke Artefakte mit Installationen aus verschiedenen Materialien, Ergebnisse eines spezifischen technologischen Inputs; [zweitens] der durch einen langen Arbeitstisch repräsentierte Bereich der Werkstatt und der Planung, und
schließlich [drittens] das große Fenster, welches wirkungsvoll den konzipierenden Blick der Künstlerin hinaus ins Freie zum sozialen Leben des städtischen Lebensraums projiziert. Tatsächlich erklärt Brigitte Liebel, dass das Leben selbst Inspirationsquelle sei, in das sie sich selektiv versenkt, ebenso wie auch die verschiedenen, in autonomen Forschungszyklen umschriebenen Werke das Ergebnis einer auf Reflexions- und Überarbeitungsprozesse des angesammelten Bestandes folgenden Tätigkeit sind; die verschiedenartigen Artefakte, welche ihre Arbeit und ihre Werke ausmachen, bilden einen interessanten Bestand, der aus der Verbindung von Ausdruck und fotografischer Dokumentation entstanden und mit technischen Untersuchungs- und Wahrnehmungsapparaten überarbeitet worden ist. Drei Werke wurden für die Ausstellung ausgewählt und dort an verschiedenen Stellen positioniert: „Freiburger Sterne“ von 2015 widmet sich zwölf besonders relevanten Plätzen in der Stadt. Die Arbeiten zu „Freiburger Sterne“ sind das Ergebnis kaleidoskopischer Zerlegung des einzelnen Bildes und stehen mit den für das ganze Ausstellungsprojekt titelgebenden Intentionen in vollkommenem Einklang. Im vertrauten Innenbereich von Kultur und Sozialforschung befindet sich die Wandinstallation „Teilmenge I“ von 2016 in Auseinandersetzung mit den begrifflichen Dimensionen von Kindheit und Jugend; die Komposition ist das Ergebnis einer Anordnung zwischen den Gesichtern und der persönlichen Körpergröße. Es entstand in einer fotografischen Entdeckungsaktion und erweist sich auf der Ebene der Vermischung von Erforschungsphasen und ästhetischem Ausdruck als äußerst markant. Eine bedeutende Passage bilden die im Werkzyklus „Sternenboten“ versammelten Arbeiten, worin die Inanspruchnahme der Kunst eine aktive Form annimmt. Sie öffnet sich der Konfrontation mit den Schichten der verschiedenen Wahrnehmungsformen der phänomenologischen Wirklichkeit, angesiedelt zwischen einer unmittelbaren Gegenwart und einer in der fotografischen Erinnerung nachklingenden Vergangenheit. Mit optischen Linsen ausgestattete Behältnisse stehen nebeneinander und schmücken den Streifzug vor unseren Augen von einem durch Schatten und Präsenz bereicherten Alltag zu einem Bericht von essenziellem Austausch aus. Diese drei eigenständigen Etappen erlauben es, den von Brigitte Liebel mit sprachlich-visuellen Lösungen in der Gesellschaft eingeschlagenen Parcours zu kreuzen. Unter ästhetischen Gesichtspunkten enthüllen sie Werte und neue Lösungen; der Nutzen wird darin bestehen, direkt mit Werken zu interagieren, welche die Bedeutung des Fundstücks und des Zeugnisses erhalten haben, aber auch die spezifische Dimension des Arbeitsinstruments. Der Charakter dieses Parcours zeigt, wie viel im System der zeitgenössischen Kunst das analytische Erbe der
zweiten Avantgarde, ihre Beziehungen zur wissenschaftlichen Kultur und des
laborgestützten Experimentierens in Bezug auf die neoexpressionistischen
Transformationen der 1980er Jahre eine kontinuierliche Präsenz erhält.