BRIGITTE LIEBEL bezeichnet sich selbst als Lichtsammlerin. Diesem Begriff werden all ihre unterschiedlichen Arbeiten gerecht, sie hat sich damit einem Prinzip, ja einem künstlerischen Konzept verschrieben.
Ihr Projekt „Menschenbilder“ soll, wenn es fertig ist, 82 Menschenportraits umfassen, dabei steht jedes Portrait für 1 Million Bundesbürger. Eins zu einer Million ist, wenn es nicht um Kartografie geht, ein gewagter Maßstab. Um so mehr scheint er es zu sein, wenn es bei der Maßeinheit um Personen und Persönlichkeiten geht. Allerdings soll, trotz des konzeptuellen Rahmens, der die eins zu einer Million vorgibt, nicht wirklich vermessen werden, es soll vielmehr ein Gerüst entstehen, welches erlaubt mit künstlerischer Methode zu reflektieren.
Die lebensgroßen Portraits der Brigitte Liebel wirken teilweise gespenstisch, geisterhaft – wir erkennen quasi nur ihre Umrisse, ihre Aura. Obwohl eine konkrete Person ganz individuell eben mit den Methoden der Lochkammerafotografie abgebildet wurde, bleibt die Person uns doch fremd, distanziert. Statt das wir, wie bei sonstigen Portraitfotos sagen, „dieser und jener wurde hier fotografiert“ oder „ die Aufnahme erinnert mich an …“, schauen wir vielmehr in ein Spiegelbild, ohne allerdings uns selbst darin zu entdecken sondern eher Stereotypen der Gesellschaft (denen wir ja auch angehören), ein Kind, eine Schwangere, ein junger oder ein alter Mann usw.
Insofern ist das Maß, das die Künstlerin anlegt, nicht die Dokumentation bundesrepublikanischer Wirklichkeit und auch ihre charmante Behauptung uns Portraits zu zeigen, trifft nur auf der vordergründigen, rein formalen Ebene zu. Nein, das Maß, welches sie anlegt ist Reflexion, Innehalten, Nachdenken und Nachschauen.
Die Porträtierten müssen – gezwungen durch die Camera Obscura, die einfach Zeit braucht – inne halten. Je mehr, desto schärfer sehen wir ihre Konturen.
Was sagt dies über eine Gesellschaft aus, die in ruheloser Bewegung ist? Was sagt dies über den Umgang aus, den die Mitglieder dieser Gesellschaft miteinander pflegen? In welchem Licht werden wir gezeichnet, wenn wir in den metaphorischen Spiegel ihrer Arbeit blicken?
Matthias A. J. Dachwald, berufenes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Auszug aus der Rede anlässlich der Ausstellung MENSCHENBILDER TIERBILDER , Städtische Galerie im Bürgerhaus, Schwabach, 2011