Kunsthistorikerin Kunstvermittlerin Kuratorin
anlässlich der Preisträgerinnenausstellung 2014
des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald
Brigitte Liebel nutzt die Lochkamera auf vielfältige Weise, so dass im bisherigen Werk bereits eine Bandbreite an Motiven künstlerisch umgesetzt wurde. Zuletzt erlebte ich die Künstlerin bei einer dreitägigen Veranstaltung im Dreiländereck, bei dem trinationalen „Wegfestival“, zu dem sie mit ihrem Konzept eines „Reflexionsbündels“ eingeladen worden war. Es ging um die Promenadologie, also die Spaziergangswissenschaft und ihre verschiedenen Aspekte der Nutzung und Wahrnehmung von Landschaft. Brigitte Liebel hatte kleine Lochkameraboxen vorbereitet, mit denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einem geführten Spaziergang von Saint-Louis nach Hüningen eine einzige von ihnen selbst zu wählende Aufnahme machen konnten. Diese ortsspezifischen Fotos – Ort und Uhrzeit sowie der Name der fotografierenden Person wurden auf der Kamerabox vermerkt – sind von der Künstlerin entwickelt und dann in ihren Kameraschachteln als Gesamtobjekt präsentiert worden. Hier können Sie dieses „Reflexionsbündel“ nun sehen. Die Arbeit ist als Projektergebnis zusätzlich aufgenommen worden und daher nicht in der Werkliste zu finden.
Landschaftsmotive sind wiederkehrende Aufgaben im Werk von Brigitte Liebel. Vor zwei Jahren wurde die aus Nürnberg stammende Künstlerin mit poetisch anmutenden Aufnahmen von zarten Gräsern, den RASENSTÜCKEN, in die GEDOK Freiburg aufgenommen. Hier sind aus dieser Serie einige dieser sensiblen Pflanzenmotive zu sehen. Von ganz anderer Wirkung sind die Doppelarbeiten aus der Serie der RANKSTÜCKE, deren kontraststarke Bildordnung von den Bild füllenden weißen und schwarzen organischen Formelementen lebt und dabei zu Kompositionen reiner Abstraktion führt.
Im Gegensatz zu den vegetabilen Motiven stehen die Aufnahmen von Freiburger Bauten oder von Objekten der Umgebung. Manche Motive der Serie SCHWARZWÄLDER haben von sich aus eine geometrische Grundform, alle sind in eine besondere, in eine gebaute Struktur umgeformt:
Durch die mehrfache Spiegelung mit zentrifugaler Anordnung werden die Motive in eine kaleidoskopartige Form gebracht. Diese Brechung Multiplizierung der Motive verändert sie so, dass unsere Wahrnehmung rätselt, was sie sieht.
Die polymorphe Form entspricht der Wiederholung des jeweiligen Motivs, das wir in seiner radialen Anordnung als neue zentrierte Figur und damit unabhängig vom Ausgangsmotiv wahrnehmen. Obwohl gegenständlich, wirken die Resultate abstrakt, mal mehr geometrisch, mal eher ornamental, als fotografische Blüten oder Kristalle.
Das gegenständlich Figurative ist auch in Gestalt von Porträts und Personendarstellungen als vielfältiges Motiv im Werk von Brigitte Liebel über Jahre hinweg zu finden. Großformatige Ganzfigurenporträts, die vor einigen Jahren entstanden, wurden mit einer speziellen, schrankgroßen Lochkamera gemacht. Oder es sind die Köpfe von Kindern, die das figürliche Thema vertreten und – als Fotos zusammengestellt – eine große Wandinstallation bilden.
Brigitte Liebel hat ihre Arbeiten der letzten Jahre in einem Werkbuch zusammengestellt, in dem sich ihr künstlerischer Weg verfolgen lässt und die Vielfalt ihrer Gestaltungen zum Ausdruck kommt.
Brigitte Liebel hat als gebürtige Nürnbergerin nach ersten Ausbildungswegen an der dortigen Akademie in den 90er Jahren studiert. 1996 konnte sie dank eines Stipendiums ein halbes Jahr in Budapest leben und für einen Studienaufenthalt nutzen. Nach beendigtem Kunststudium trat sie 1999 ihre erste „Lichtsammelreise“ an, die sie um die Welt führte.
Danach folgten jährlich Ausstellungen nicht nur im süddeutschen Raum und 2005/2006 ein Jahresstipendium des Bayerischen Staates, der sie auch für die Jahre 2008 bis 2010 in sein Atelierförderprogramm aufnahm. 2011 gab es den Umzug ins Badische, wo sie mit einem Projekt auffiel, das 2012 vom Fonds Soziokultur Bonn gefördert wurde. Auch in diesem Jahr 2014 wird ein weiteres Kunstprojekt von Brigitte Liebel gefördert – dieses Mal durch ein Bundesministerium. Ihre kürzliche Einladung zum trinationalen Wegfestival in Basel erwähnte ich schon. Zur Zeit arbeitet Brigitte Liebel an einem Projekt mit Schülerinnen und Schülern einer Freiburger Schule, das gestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das alles kennzeichnet die Aktivitäten und künstlerische Engagiertheit von Brigitte Liebel.
Lochkamerafotografie gibt es bei Brigitte Liebel ausschließlich als Schwarzweißaufnahmen. Sie haben einen hohen ästhetischen Reiz, da sie sensibel und nuancenreich oder plakativ die Umsetzung von Licht im Bild wiedergeben. Zudem ist es möglich, mit einer längeren Belichtung andere Effekte zu erzielen als die bloße Abbildung. So sind direkte Abstraktionen von gegenständlichen Motiven möglich. Eigentlich bieten bereits die Vorbedingungen der schwarzweißen Bildgebung eine abstrahierte Sicht der Welt. Das Bildverfahren mit winzigem Blendverschluss und mit lichtempfindlicher Beschichtung ist auf das grundsätzlich Nötige reduziert und durch die Wandlung des normalen Helldunkels in umgekehrte Schwarzweißverhältnisse ist ein erheblicher Abstraktionsgrad erreicht.
Diese Reduktion bringt uns dazu, unsere Sinne intensiv auf die einzelnen Bildelemente zu richten, ohne die Wahrnehmung von den Details der wiedergegebenen Formen abzulenken, und sie erschafft gleichzeitig eine reiche Differenzierung und Steigerung der Kontraste oder des modulierten Helldunkels.
Das Werk von Brigitte Liebel macht deutlich, dass auf der Grundlage einer einfachen Lochkamera eine große Bandbreite von unterschiedlich gestalteten Bildern entstehen können. Voraussetzung ist ein erprobter und ausgereifter Umgang mit der schlichten Technik, damit Einsatz und Ergebnis zu solcher fotografischen Vielfalt führen.
Lochkamerafotografie ist zwar nicht so häufig wie die übliche apparative Fotografie – sei diese analog oder digital. Aber auch sie führt zu erstaunlichen Ergebnissen, auch als großes Farbbild. So zeigt gerade das Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen große Landschaftsaufnahmen von Werner Mahler, die in ihrer Präzision und gleichzeitigen Weichheit einen besonders reizvollen Klang von Atmosphäre vermitteln und das Wesen von Landschaft in den verschiedenen Beispielen einer spezifischen Gegend zur reinen Anschauung bringen.
Ein reiches Lichtspiel von Hell und Dunkel bieten uns die Lochkamera-Arbeiten von Brigitte Liebel in einem hohen Maß und mit einiger Raffinesse: Licht gesammelt und als ästhetische Ernte präsentiert.
Ihre Art der Lichtsammlung wird nun auch die Kunstsammlung des Landkreises bereichern.
Susanne Meier-Faust M. A.
Mitglied GEDOK Freiburg e.V. Vorstandsmitglied Dachverband GEDOK e V. 2001 – 2006
Mitglied der AG und der Jury für den nationalen Gabriele Münter-Preis, Bonn, Berlin
Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste IGBK, Berlin
Berufenes Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie DFA, Leinf.-Echterdingen